„Die Vorschriften für Bürgerbeteiligung sollten wieder an höhere Hürden geknüpft werden“
Rundblick-Interview mit Dr. Marco Trips
Dr. Marco Trips, der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, empfiehlt einige gesetzliche Änderungen. Die Bürgermeister, meint er, sollten wieder acht Jahre statt fünf Jahre im Amt sein. Außerdem sieht er die Rufe nach mehr Bürgerbeteiligung skeptisch – denn zu verantwortungsbewussten Entscheidungen gehöre auch die Chance, ein Votum in einer Sachfrage reifen zu lassen. Trips äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.
Rundblick: Herr Dr. Trips, brauchen wir überhaupt noch kommunale Vertretungen, Räte und Kreistage? Die Bürger könnten doch die wichtigen Entscheidungen aktuell per Votum am Handy treffen, dann ginge alles doch viel schneller und unkomplizierter…
Trips: Ja, klar. Jeden Morgen könnte der Bürgermeister per Einwohnerentscheid, der über die Handys der Bürger vermittelt wird, die Wegweisung für seine Arbeit erhalten. Im Ernst: Von solchen Überlegungen halte ich gar nichts. Ich bin ein Freund der repräsentativen Demokratie. So gut und richtig es ist, die Ansichten der Bürger zu aktuellen Themen in den Entscheidungsprozess einzubeziehen – so wichtig ist es doch auf der anderen Seite, in den Sachfragen ausführlich zu beraten. Es gibt so etwas wie die „Legitimation durch Verfahren“. Allein die Vorgabe, für zentrale Entscheidungen mehr als eine Ratssitzung zu brauchen, zwingt zu intensiven Diskussionen und Abwägungen. Dass die Ratsmitglieder beraten und entscheiden, zwingt sie zur Gründlichkeit und zur Suche nach Kompromissen. Das macht die Qualität einer guten Entscheidung dann am Ende auch aus. Volksentscheide können das nicht ersetzen. Außerdem sind es doch häufig besonders engagierte und besonders privilegierte Gruppen, die in Bürgerinitiativen Stimmung erzeugen und das Wort führen – Bürgerbeteiligung wird dort dann eher zu einer Form der Elitenbeteiligung, etwa in der Debatte über die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Dort wirken gebildete, mit ausreichend Zeit und Grundbesitz ausgestattete Leute mit, ich bemühe mal das Klischee der pensionierten Akademiker. Viele, die als Mieter bei einer Abschaffung später auch zahlen müssten, interessieren sich erstmal gar nicht für das Thema…
Rundblick: Brauchen wir also weniger statt mehr Bürgerbeteiligung?
Trips: Die gegenwärtigen Regeln sind im Prinzip ausreichend – bis auf ein Detail. Die unter Rot-Grün gestrichene Vorschrift, bei einem Plebiszit für eine vorgeschlagene Investition auch einen Finanzierungsvorschlag unterbreiten zu müssen, sollte wieder eingeführt werden. Wer meint, über die direkte Demokratie große Projekte durchsetzen zu können, sollte sich auch Gedanken über die Bezahlung machen müssen.
Rundblick: Was die Kommunalverfassung angeht, werben Sie für eine längere Amtszeit der Bürgermeister. Warum?
Trips: Die in der vergangenen Wahlperiode beschlossene Kürzung von acht auf fünf Jahre halte ich nicht für sinnvoll. Ein neuer Bürgermeister braucht mindestens anderthalb Jahre, um im Amt anzukommen – und die letzten anderthalb Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit sind meist vom Wahlkampf überlagert. Eine längere Amtszeit ist wichtig, damit er überhaupt gestalten kann. Außerdem erschwert die gegenwärtige Regelung die Nachfolgesuche. Wenn ein Bürgermeister ausscheidet, wird häufig der Stellvertreter gefragt, ob er kandidieren will. Doch der hat dann meist die achtjährige Amtszeit, weniger Stress und Führungsverantwortung. Der Reiz, auf den ersten Platz zu wechseln um den Preis einer kürzeren Dienstdauer, hält sich für ihn dann oft in Grenzen.
Rundblick: Die Digitalisierung verändert ohnehin die Arbeit. Welchen Wert hat eigentlich die kommunale Selbstverwaltung, wenn die weltweite Vernetzung immer weiter voranschreitet?
Trips: Natürlich könnte eine Gemeinde die Vorlage für den Bebauungsplan künftig auch in China entwickeln lassen – und über Skype könnte der Rat dann mit den Verfassern in Kontakt treten. Für mich kommt es auf eines an: Die Entscheidung muss in der Gemeinde von ihren eigenen Vertretern getroffen werden. Das gilt auch, wenn diese Einheiten noch so klein sind. Die kommunale Selbstverwaltung sichert den Zusammenhalt der örtlichen Gemeinschaft, das wird in global unruhigen Zeiten immer wichtiger.
Rundblick: Haben Sie Sorge, dass den Kommunen wichtige Entscheidungen genommen werden – etwa mit der Überlegung, ihnen die Chance für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen zu nehmen?
Trips: Ja. Man kann vorschreiben, dass die Kommunen keine Beiträge mehr erheben oder auch keine Grundsteuern mehr einnehmen dürfen. Das Resultat würde sein, dass die Kommunen auf Zuschüsse von Bund und Land angewiesen sind – also als Bittsteller in Hannover oder Berlin auftreten müssten. Das würde der kommunalen Selbstverwaltung schaden. Was die Straßenausbaubeiträge angeht: Ich würde den Kommunen das Recht zu solchen Schritten nicht nehmen, wohl aber festlegen, dass man die Beiträge über längere Zeit strecken kann. Wenn ein Familienvater erfährt, im kommenden Jahr für den Ausbau seiner Straße 5000 Euro zahlen zu müssen, ist das eine hohe Belastung. Besser wäre es dann, wenn er den Betrag über eine Spanne von zehn oder 20 Jahren aufbringen kann – von mir aus auch ohne Zinsen.
Rundblick: Mit welchen weiteren Wünschen an die Landesregierung starten Sie ins neue Jahr?
Trips: Ich habe mich geärgert, dass kurz vor dem Jahreswechsel die Stadt Lüneburg aus dem Integrationsfonds des Landes einen Geldbetrag erhalten hat, der nun für die Erweiterung und den Umbau einer Oberschule verwendet werden soll. Das, denke ich, geht so nicht. Wir haben einen begrenzten Kreis von Kommunen, die besonders stark von hoher Zuwanderung betroffen sind und für die es – richtigerweise – einen Sondertopf gibt. Aber das Geld sollte dann auch gezielt für Integrationsprojekte verwendet werden und nicht als verkappte Investitionsbeihilfe für Schulträgeraufgaben. Aus meiner Sicht sollte dieser Sondertopf endlich zu einer allgemeinen Integrationspauschale für alle Kommunen umgewandelt werden.
Rundblick vom 07.01.2019