Offener Brief des NSGB an Kultusminister Grant Hendrik Tonne

Hannover, 04.12.2020

Sehr geehrter Herr Minister Tonne,

das Präsidium des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes hat sich in seiner gestrigen Sitzung ausführlich mit den aktuellen Themen im Schulbereich befasst.

Es gibt derzeit viele offene Fragen zwischen dem Land und den Kommunen als Schulträger, so dass unser Verband es für angebracht hält, die einzelnen Punkte in einem kommunalen Schulgipfel miteinander zu beraten.

Im NSGB bestehen folgende Standpunkte:

1. Rechtsanspruch auf Ganztag im Grundschulalter

Offenbar gab es weitere Gespräche zwischen Bund und Ländern einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter betreffend. Hier reden zwei Parteien miteinander und treffen Verabredungen zu Lasten Dritter, nämlich der Schulträger. Wir fordern eine Einbindung der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene in diese Gespräche und eine enge Abstimmung der Verhandlungspunkte auf Landesebene zwischen dem Nds. Kultusministerium und den Nds. Kommunalen Spitzenverbänden. Wir haben bei der Beitragsfreiheit in Kindergärten gesehen, welche unzulänglichen Regelungsideen herauskommen, wenn die kommunale Seite nicht von Anfang an miteinbezogen wird. Konstruktionen, die sich Bund und Länder ohne kommunale Beteiligung ausdenken, sind meist wirklichkeitsfremd und vernachlässigen wesentliche Punkte der praktischen Umsetzung.

Stufenweiser Ausbau ja – Keinen Rechtsanspruch schaffen

In der Sache glauben wir, dass eine verlässliche Ganztagsbetreuung im Grundschulalter kommen muss, wir stellen jedoch in Frage, dass dies mit einem Rechtsanspruch verbunden werden kann. Bund und Länder schaffen hier eine Verpflichtung zu Lasten der Kommunen, die diese aus personellen und finanziellen Gründen nicht umsetzen können.

Personal steht nicht zur Verfügung

Es steht bereits derzeit kein ausreichendes erzieherisches Personal für die Besetzung aller erforderlichen Kindertagesstättengruppen zur Verfügung. Ihr Haus blockiert seit Jahren eine Reform der ErzieherInnen-Ausbildung hin zu einer attraktiven echten dreijährigen dualen Ausbildung, die aus unserer Sicht schnell zusätzliches Personal auf den Arbeitsmarkt bringen würde. Bei einer Umsetzung des Rechtsanspruchs im SGB VIII wird aber genau dieses Personal eingesetzt werden müssen. Nach Berechnungen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) werden zusätzlich rund 100.000 pädagogische Fachkräfte benötigt, für Niedersachsen als etwa 10.000. Diese stehen weder jetzt noch in Zukunft zur Verfügung.

Umsetzung im Schulrecht

Wir fordern daher eine Umsetzung im Schulrecht, so dass das Land die Ganztags­verpflichtung aus eigener Finanzierung mit Lehrerstunden besetzt.

Investitionskostenförderung nicht ausreichend

Nach dem neuesten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bildungs- und Teilhabepaket ist von strenger Konnexität auch bei Veränderungen von Standards und sowieso bei neuen Aufgaben auszugehen. Die vom Bund angekündigten 3,5 Mrd. Euro bundesweit für Investitionskosten reichen nicht aus. Die Investitionskosten für einen flächendeckenden Ausbau der Ganztagsbetreuung werden auf 7,5 Milliarden Euro geschätzt. Wir gehen davon aus, dass die Länder den fehlenden Anteil vollständig ausfinanzieren müssen. Für Niedersachsen bedeutet dies eine Summe von mindestens 400 Mio. Euro an Investitions-kosten.

Betriebskostenzahlung nicht ausreichend und auf falschem Weg

Hinzu kommen die Personal- und Betriebskosten, die das Deutsche Jugendinstitut auf rund 4,5 Milliarden Euro pro Jahr beziffert. Hier will der Bund die Hälfte übernehmen. Somit verbleibt für das Land Niedersachsen ein Anteil von 225 Millionen Euro pro Jahr. Angesichts der corona-bedingten Abschwächung der Steuereinnahmen ist uns nicht ersichtlich, wie diese Summe aufgebracht werden soll. Sollte die Zahlung des Bundes auf Umsatzsteuerpunkte für die Länder hinauslaufen, erwarten wir eine direkte Weiterleitung bzw. eine Vollkostenabrechnung des ggf. eingesetzten Personals und aller zusätzlichen Sachaufwendungen der Schulträger.

Der NSGB wird diesmal keine Kompromisse im Rahmen der Konnexität eingehen.

Ganztagsschule schon jetzt unzureichend finanziert

Außerdem ist der NSGB der Auffassung, dass die Ganztagsschulen bereits jetzt erheblich unterfinanziert sind. Das Modell Ganztagsschulen funktioniert nach Feststellung des Landesrechnungshofs letztendlich deshalb, weil die Kommunen mit eigenen Mitteln die Leistungen bezahlen, die eigentlich vom Land zu erbringen wären. In seinem Kommunalbericht 2020 (LT-Drs. 18/7850, S. 82 ff.) kommt der LRH daher zu dem Schluss, dass „die gegenwärtige Finanzierung einer Überprüfung unterzogen werden sollte.“ Das Land muss hier auch endlich seiner Verantwortung gerecht werden, bevor neue Modelle zu Lasten der Kommunen erfunden werden.

2. Digitalisierung in Schulen

Wir erwarten, dass die getroffenen Vereinbarungen zwischen dem Nds. Kultusministerium und den Kommunalen Spitzenverbänden eingehalten werden. Wir verstehen nicht, warum die notwendige Digitalisierung an Schulen immer wieder durch Störfeuer in Frage gestellt wird, anstatt sie zu einem zukunftsträchtigen Gewinnerthema auszubauen.

EDV-Administratoren-Gelder

Wir erwarten, dass die Verdopplung der EDV-Administrationsmittel in 2020 voll zur Verfügung steht und nicht als Kofinanzierungsmittel in die 47 Mio. Euro Bundesförderung eingerechnet wird bzw. diese Mittel als Begründung angeführt werden, dass die Schulträger den 10%igen Eigenanteil selbst tragen sollen. Verabredet war, diese Mittel nebst Eigenanteil des Landes zusätzlich in den Folgejahren zur Verfügung zu stellen, bis eine gemeinsame Arbeitsgruppe berechnet hat, wie hoch der tatsächliche Administrationsaufwand durch allgemeine technische Entwicklungen, Digitalpakt und corona-bedingte Veränderungen ist. Geräte und Netze müssen administriert werden, und zwar trotzdem es unter der Wahrnehmbarkeitsschwelle der Eltern und Lehrer passiert. Entsprechende Fachkräfte sind am Markt nicht mehr zu bekommen oder stehen nur zu entsprechend höheren Entgelten zur Verfügung. Die Kosten steigen hier, gleichzeitig auch die Ansprüche der Nutzer.

Schülertablets sind nicht Angelegenheit der Schulträger

Derzeit beschaffen die Kommunen aus Bundesmitteln ausnahmsweise aufgrund der Notlage in der Coronapandemie mobile Endgeräte für SchülerInnen. Das lehnen wir für die Zukunft ab. Tablets für SchülerInnen sind Lernmittel, die von den Eltern zu beschaffen sind. Derzeit werden von den Eltern in Klasse 7 für teures Geld aus der Zeit gefallene Taschenrechner angeschafft. Dieser Unsinn ist zu beenden, stattdessen sind Tablets zu beschaffen. Selbstverständlich können wirtschaftlich schwache Familien unterstützt werden. Wir erinnern daher an unsere Forderung, mobile Endgeräte als Lernmittel anzuerkennen. Die Digitalisierung in Schulen benötigt klare Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten.

Lehrertablets sind Landessache

Bei mobilen Endgeräten für Lehrkräfte handelt es sich nicht um Lehrmittel. Es ist persönliche Ausstattung der Lehrer. Die gegenteilige Begründung des Kultusministeriums überzeugt uns nicht. Diese Geräte sind als persönliche Ausstattung der Lehrkräfte vom Land zu beschaffen. Der NSGB lehnt eine Beschaffung und Finanzierung durch die Schulträger ab.

3. Unterstützerprogramm für Schulen

Abgesehen von der überraschenden, mindestens teilweisen Abkehr der Lüftungsstrategie sind wir vom weiteren Vorgehen enttäuscht. Nach pressewirksamer Ankündigung des Programms sind nunmehr zwei Wochen (!) vergangen, nach denen uns endlich ein Entwurf einer Richtlinie vorliegt, den wir aber unseren Mitgliedern noch nicht zur Verfügung stellen dürfen Wir hätten von ihrem Haus hier ein schnelleres und strafferes Vorgehen erwartet.

Der Effekt war, dass seit zwei Wochen die Schulleitungen unsere Bürgermeister und Räte bedrängen, weil bei ihnen Erwartungen geweckt worden sind, die das Land nicht erfüllt. Dem so aufgebauten politischen Druck standzuhalten ist kaum möglich, so dass viele Beschaffungen schon ohne das Landesprogramm abgewickelt werden. Hinzukommt, dass die Mittel nicht ausreichen und die Kommunen so in eine Kofinanzierung gedrängt werden. Wieder werden die Kosten auf die Schulträger abgewälzt. Anzumerken bleibt, dass die Beschaffung von Lüftungsgeräten so wahrscheinlich erst im März abgeschlossen sein wird, wenn dank der Impfungen die Pandemie hoffentlich abgeklungen sein wird.

In der Sache sieht die Richtlinie nach erster Durchsicht nicht so einfach aus wie angekündigt. Geplant war eine schlichte Weiterleitung der Gelder in das Schulbudget und eine eigenverantwortliche Beschaffung durch die Schulen. Nunmehr sind Anträge, ggf. Ausschreibungen und Verwendungsnachweise von den Kommunen gefordert. Bei den geringen Summen, die teilweise für kleine Schulträger zur Verfügung stehen, ist dies ein unverhältnismäßiger Bürokratieaufwand. So verbleibt der ungute Eindruck, dass mit der Pressekonferenz der politische Druck auf Landesebene erledigt ist und auf die kommunale Ebene verschoben wird.

Entschieden müssen wir uns auch dagegen wehren, dass die Grundzuständigkeit des Dienstherrn für die Ausstattung des Landespersonals mit FFP2-Masken abgelehnt wird und dabei zunehmend auf den Schulträger verwiesen wird. Dieser Eindruck wird durch die Förderrichtlinie zu Unrecht bestärkt.

Insgesamt gibt es zu diesen Themen einen großen Gesprächsbedarf, so dass ich die Forderung unseres Präsidiums nach einem gemeinsamen Schulgipfel zum Abschluss wiederholen möchte.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Marco Trips
Präsident